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Niedersachsen

Zwei Männer sitzen bei Veranstaltung am Tisch. Ein Mann spricht.

Nils Rath und der ebenfalls gehörlose Auszubildende Timo Ermeck beantworten, unterstützt durch Gebärdendolmetscher, beim Runden Tisch des Unternehmens-Netzwerk INKLUSION in Hannover Fragen über ihren Arbeitsalltag und zu ihrer Berufsausbildung.

02. März 2018

Können gehörlose Menschen LKW fahren? Beim Runden Tisch in Hannover gab es die Antwort

Nils Rath ist 22 Jahre alt, gehörlos und sein Arbeitsplatz ist der Brummi. Die Spedition Giesker & Laakmann aus Nottuln im Münsterland hat Nils zum Berufskraftfahrer ausgebildet.
Zunächst hat er sich ganz normal um einen Ausbildungsplatz als Berufskraftfahrer beworben, erzählt Nils. Man habe sich schon über die Bewerbung gewundert, dann aber entschieden das Experiment zu wagen, erklärt Simone Heimken, Personalleiterin der Spedition. Und die Entscheidung nicht bereut. Ganz im Gegenteil, mittlerweile sind zwei weitere gehörlose Fahrer eingestellt worden. Wichtig sei dabei, alle Mitarbeiter des Unternehmens dabei mitzunehmen.Seit sich die Belegschaft mit ihren gehörlosen Kollegen beschäftigt, hat in vielen Bereichen eine Horizonterweiterung und ein spannendes Umdenken stattgefunden, erklärt Simone Heimken. Neue Wahrnehmungen erzeugen neue kreative Ideen und Problemlösungen.

Die Spedition Giesker & Laakmann ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit 150 Mitarbeitern, davon sind 30 Auszubildende. In dem Unternehmen ist es gelungen, bei der Belegschaft Interesse und Bereitschaft für dieses Inklusionsprojekt zu wecken, eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen.
Überraschend schnell hat sich die Zusammenarbeit zwischen Nils und den Mitarbeitern anderer Unternehmensteile eingespielt. Hauptsächlich wird über WhatsApp Sprachfunktion des Handys kommuniziert, mittlerweile fangen einige der Beschäftigten sogar an die Gebärdensprache zu lernen.

Auch bei den Kunden genießen Nils und Timo ein hohes Maß an Anerkennung, dort haben sich die neuen Kommunikationsmechanismen schnell eingespielt.
Julia Laakmann, die dieses Projekt intensiv begleitet, betont die besondere Leistungsfähigkeit gehörloser Fahrer. Das fehlende Gehör wird durch eine überdurchschnittliche visuelle Wahrnehmung und ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen ausgeglichen. Bevor Verkehrsteilnehmer das Martinshorn eines Einsatzfahrzeuges gehört haben, haben Nils und Timo es bereits gesehen. Außerdem verfügen die gehörlosen Mitarbeiter über eine außerordentlich hohe Konzentrationsfähigkeit – die Unfallhäufigkeit ist statistisch wesentlich geringer.
Bei Verkehrskontrollen verständigt man sich „klassisch“ mit Papier und Stift, da hat es in der Vergangenheit nie Probleme gegeben.
Am Fuhrpark und an der Infrastruktur des Unternehmens musste nichts modifiziert oder nach besonderen Bedürfnissen gehörloser Mitarbeiter angepasst werden. Alle Fahrzeuge verfügen über Scanner, mit denen die Lieferscheine sofort digital Übermittelt werden. Der monetäre und organisatorische Aufwand hält sich für das Unternehmen in Grenzen, lediglich ein Headset mit einem Übersetzungsprogramm, für 90 Euro, wurde angeschafft. Neben den zusätzlichen Urlaubstagen für Schwerbehinderte müssen die Fahrer im Rahmen ihres medizinischen Checks eine zusätzliche Untersuchung ihres Gleichgewichtssinnes durch einen HNO Arzt vornehmen lassen.

Ihren Führerschein haben Nils und Timo bei einer speziellen Fahrschule für Gehörlose gemacht. Sowohl bei der Fahrprüfung als auch in der Berufsschule werden Nils und Timo von Gebärdendolmetschern unterstützt. Außerdem können in der Berufsschule Nachteilsausgleiche wie Verlängerung der Prüfungszeit, Nutzung von Hilfsmitteln, eventuell Verschieben von Prüfungsterminen beantragt werden.
Die Übersetzung von Prüfungstexten besonders theoretischer und abstrakt-komplexer Zusammenhänge in leichte Sprache liegen zwar zum Teil vor, sollten aber in viel größerem Umfang bereitgestellt werden, erklären Nils und Timo. Das würde die Prüfung doch erleichtern.
Nils hat seine Prüfung eine Woche nach dem runden Tisch bestanden!